Breites Bündnis erarbeitet Abriss-Atlas Deutschland und betont den Wert bestehender Gebäude für Klimaschutz, Baukultur und soziale Räume
Eine Kooperation aus Architektur-, Kultur- und Umweltschutzorganisationen hat sich für die Erstellung des Abriss-Atlas Deutschland zusammengeschlossen. Der Atlas mit aktuell etwa 270 Beispielen enthält nach dem Vorbild des Schweizer Abriss-Atlas steckbriefartig Fälle von Gebäudeabrissen mit Informationen zu Bau-, Abrissjahr und Abrissgrund und ermöglicht es, ein besseres Bild des Abrisswahns in Deutschland zu zeichnen. Abrisse verursachen jährlich Millionen Tonnen CO2 sowie Abfall und zerstören historische Baukultur und schädigen soziale Gefüge. Das Bündnis fordert ein Abrissmoratorium und ruft die Menschen in Deutschland dazu auf, weitere Beispiele von Gebäudeabrissen unter www.abriss-altas.de einzutragen. Im Bündnis sind die Deutsche Umwelthilfe (DUH), Architects4Future (A4F), der Bund Deutscher Architektinnen und Architekten (BDA), das Denkmalnetz Bayern, das KulturerbeNetz.Berlin, die Initiative Abrissmoratorium, die Leibniz Universität Hannover und Theatrum e.V.
Das Bündnis fordert die Musterbauordnung so zu ändern, dass Abrisse in den Landesbauordnungen zur Ausnahme und Fehlanreize für Abrisse beseitigt werden. Es müsse mehr im Bestand gebaut und Bestehendes gepflegt werden, um kulturelle Werte zu erhalten und verbaute „Graue Energie“ – also die Energie, die für Bau, Herstellung und Transport aufgewendet werden muss – nicht zu verschwenden.
Barbara Metz, Bundesgeschäftsführerin der DUH: „Der Abrisswahn in Deutschland muss endlich aufhören. Wir können uns die hohen CO2-Emissionen und Bauabfälle im Gebäudesektor nicht leisten. Wir brauchen in Deutschland einen rechtlichen Rahmen, der Sanierung, Umbau und Erweiterungsbau gegenüber Abriss und Neubau erleichtert – eine Abrissgenehmigungspflicht auf Basis einer Ökobilanzierung ist dafür ein wichtiger Grundstein. Zudem befeuert der Abriss von bezahlbarem Wohnraum die Wohnungskrise. Unvermeidbare Abrisse müssen mit Wiederverwendungs- und Recyclingkonzepten einhergehen, um die hochwertige Wiederverwertung der Baumaterialien zu ermöglichen.“
Susanne Wartzeck, Präsidentin des Bund Deutscher Architektinnen und Architekten (BDA): „Der BDA hat 2019 im Positionspapier ‚Das Haus der Erde‘ zur Achtung des Bestands aufgerufen: Bauen muss vermehrt ohne Neubau auskommen. Priorität kommt dem Erhalt und dem Weiterbauen des Bestehenden zu und nicht dessen leichtfertigem Abriss. Damals wurde dies von vielen als unrealistische, ja geschäftsschädigende Position wahrgenommen. Heute ist es nahezu eine Binsenweisheit, dass Umbau und Umnutzung viele Vorteile gegenüber Abriss und Neubau haben – nicht nur durch den Erhalt der grauen Energie. Dennoch wird weiterhin in großem Stile abgerissen. Daher beteiligt sich der BDA gern am Abriss-Atlas, der die ungeheure Zahl meist unnötiger Abrisse visualisiert und anprangert.“
Architects4Future: „Der Mythos des energieeffizienten Ersatzneubaus als beste Antwort auf die Herausforderungen der Klimakrise hält sich hartnäckig. Dem möchten wir mit dem Abriss-Atlas etwas entgegensetzen, indem wir auf die unglaublichen Mengen grauer Emissionen aufmerksam machen, die durch Abriss und Neubau täglich verursacht werden. Zudem ist der Mensch die einzige Spezies, die Müll hinterlässt. Mit dem Abriss-Atlas wollen wir zu einem grundlegenden Bewusstseinswandel vom linearen Verbrauch hin zum zirkulären Gebrauch von Ressourcen beitragen. In Fachkreisen und der Gesamtgesellschaft.“
Alexander Stumm für die Initiative Abriss-Moratorium: „Wir fordern ein Abriss-Moratorium: Statt Abriss und Neubau stehen wir für Erhalt, Sanierung, Umbau und Weiterbauen im Bestand. Jeder Abriss bedarf einer Genehmigung unter der Maßgabe des Gemeinwohls, also der Prüfung der sozialen und ökologischen Umweltwirkungen.“
Tim Rieniets, Professor an der Leibniz Universität Hannover: „Mit jedem Abriss gehen nicht nur wertvolle Rohstoffe verloren, es verschwinden auch Erinnerungen, Atmosphären und Spuren der Vergangenheit – steingewordene Zeugnisse einer gemeinsamen Geschichte. Diese Zeugnisse sind für eine nachhaltige Entwicklung unserer Städte ebenso bedeutsam wie die in den Bauwerken gebundenen Rohstoffe. Sie zu erhalten und behutsam weiterzuentwickeln, ist eine Form kultureller Nachhaltigkeit, die mit den Zielen der ökologischen Nachhaltigkeit Hand in Hand geht und in der Ausbildung, der Praxis und der Baupolitik einen ebenso so großen Stellenwert haben sollte.“
Ben Buschfeld vom KulturerbeNetz.Berlin: „Auch Anbauten, Umbauten oder fragwürdige Sanierungsmaßnahmen können den Zeugniswert einer Anlage, eines Gebäudes oder Kulturguts empfindlich beeinträchtigen oder ganz zunichtemachen. Hierbei geht es nicht um Schönheit – die liegt immer im Auge des Betrachters -, aber darum, den besonderen Reichtum der Stadt zu erhalten.“
Pressemeldung von DUH